Amtliche Meldung

Volkstrauertag 2022

Neuhofen gedachte am 13.11.2022 anlässlich des Volkstrauertages auf dem Friedhof Neuhofen den Opfern von Krieg und Vertreibung und insbesondere den Opfern in Ukraine

Die Ortsgemeinde Neuhofen vertreten durch den Ortsbürgermeister Ralf Marohn und die Arbeitsgemeinschaft Neuhöfer Vereine e.V. (ANV) richtete die Gedenkfeier am 13.11.2022 auf dem Friedhof Neuhofen aus. 25-30 Bürgerinnen und Bürger haben sich auf dem Friedhof versammelt und an der Gedenkfeier teilgenommen. Der Posaunenchor Rheingönheim hat die Gedenkfeier mit drei Liedern musikalisch umrahmt und zu einer sehr würdevollen Feier beigetragen.

Pfarrer Ralph Gölzer von der Prot. Kirchengemeinde sprach ein Gebet und erinnerte in dem Gebet, dass die meisten von uns in Neuhofen bisher Krieg nie erlebt haben.

Die Rede von Ralf Marohn wird hier auszugsweise abgedruckt:

Meine sehr geehrten Damen und Herren ich begrüße Sie zur Gedenkstunde zum Volkstrauertag am Mahnmal und den Kriegsgräbern auf dem Friedhof in Neuhofen. Wir haben uns heute am Volkstrauertag versammelt, um der unzähligen Opfer WELTWEIT von Kriegen, Terror und Gewalt zu gedenken. Der Volkstrauertag ist älter als die Bundesrepublik Deutschland selber. Er geht zurück auf einen Vorschlag des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge, um an die unzähligen Opfer des Ersten Weltkrieges zu erinnern, in der Hoffnung, dass die Erinnerung an den Schrecken und all das Leid eine Mahnung sei, die den Frieden sichern könne.

Heute, über 100 Jahre später, müssen wir leider zugeben, dass diese Hoffnung sich nicht erfüllt hat. Dem Ersten Weltkrieg folgte der Zweite Weltkrieg, der wieder Millionen von Menschen sinnlos das Leben kostete.

Ich habe mir mal die Mühe gemacht und habe mich in die weltweiten Flüchtlingsbewegungen eingelesen. Das gesamte weltweite Flüchtlingsgeschehen zu beschreiben würde den Rahmen einer solchen Feierstunden sprengen. Allein diese Tatsache hat mich erschreckt.

Ich möchte deshalb heute nur auf das Flüchtlingsgeschehen in Deutschland eingehen. Die hier genannten Zahlen sind zum WELTFLÜCHTINGSTAG am 20.06.2022 veröffentlicht worden, also NOCH OHNE die hohen Zahlen der Flüchtlinge aus der Ukraine.

Allein in den Jahren 2014 bis 2021 sind 1,2 Mio. Menschen aufgrund von Kriegshandlungen nach Deutschland geflohen. Herkunftsländer sind v.a. Syrien, Afghanistan, Irak aber auch aus dem Iran und Türkei. Deutschland zeigte sich in der Aufnahme der Flüchtlinge vorbildlich und für manche Flüchtlingen wurde Deutschland zum neuen Zuhause.

Die Flüchtlingsbewegungen haben aber auch uns verändert: Wir haben andere politische Verhältnisse und man muss es ehrlich zugeben, auch wir Deutsche hatten und haben mit der Integration von Kriegsflüchtlingen unsere Schwierigkeiten.

Hervorzuheben und sehr beachtlich war aber, dass viele ehrenamtlich engagierte Bürger sich für die Flüchtlinge eingesetzt und Bund, Länder und Gemeinden enorme Anstrengungen unternommen haben, um allen ankommenden Flüchtlingen (insbesondere Kindern) eine menschenwürdige Unterkunft und Versorgung zu gewährleisten. Es war eine beachtenswerte Solidarleistung, die vollbracht wurde.

Nach den Erfahrungen vom Mauerfall 1989 waren wir wohl alle der Überzeugung, dass Deutschland mit seinen europäischen Nachbarn friedlich und freundlich auf Dauer zusammenleben wird. Wir haben uns so gefühlt, dass die Vergangenheit überwunden ist und wir nun das neue europäische Haus gemeinsam bauen und dabei nur von Freunden umgeben sind!! Das war meine Überzeugung! — Aus heutiger Sicht könnte man diese Einstellung als NAIV bezeichnen.

Für mich war es undenkbar gewesen, dass das flächenmäßig größte Land der Welt und eine Weltmacht, also Russland, das ja in dem selbst so genannten „Großen vaterländischen Krieg“ während des 2. Weltkrieges zwischen 24-27 Mio. Menschen verloren hatte, sich in Europa (quasi vor unserer Haustür) dermaßen aggressiv verhält. Russland hatte im 2. Weltkrieg die höchste Zahl an Opfern zu beklagen. Eine unvorstellbare Zahl, die einem Drittel der heutigen Bevölkerung von Deutschland entspricht.

So wie es in Deutschland heißt „Nie wieder Krieg!“ war Russland und die Russen ebenfalls traumatisiert und kein Russe war bereit, nochmals einen solchen hohen Blutzoll zu zahlen.

Man fragt sich „Was ist geschehen?“ und „Wie konnte es soweit kommen?“, dass wir mitten in Europa wieder Krieg haben und wir heute in Deutschland wieder mit Kriegsangst leben und dabei nicht einmal einen Nuklearkrieg völlig ausschließen können.

Die Angst von Generationen vor uns, ist zurück!

Im Freundeskreis reden wir über diese Angst und es hilft allen, die aktuellen Geschehnisse irgendwie einzuordnen. Die Bilder in den Nachrichten und Ankündigungen von Präsident Putin werden mit Schrecken wahrgenommen und jeder wünscht sich, dass der Ukraine-Krieg möglichst schnell beendet wird. Man möchte ausrufen: „Hört endlich auf und regelt das am Verhandlungstisch!“

Aber ein Aggressor wie Putin will nicht verhandeln und die Ukraine möchte den Aggressor aus dem eigenen Land vertreiben. Putin und seine Verbündeten können wohl nur mit Gewalt gestoppt werden.

Die Betroffenheit in Deutschland durch den Ukraine-Krieg ist nicht nur durch die Energiekrise vorhanden. Die Betroffenheit ergibt sich insbesondere, da Länder wie Russland und China als Weltmächte ein anderes Gesellschaftssystem durchsetzen wollen und wir insgesamt unsere freiheitliche Grundordnung und damit auch den Frieden bedroht sehen. Diese Betroffenheit hat eine enorme Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Die Bürgerinnen und Bürger von Neuhofen haben große Mengen von Hilfsgütern, Medizinprodukten und bares Geld gespendet. Durch meine ukrainische Arbeitskollegin und vielen andere in Deutschland lebenden Ukrainern haben wir die Hilfsgüter in ukrainischen LKW´s in die Ukraine transportieren lassen. Uns war es wichtig, dass die Hilfsgüter unmittelbar bei allen Flüchtlingen und Hilfsbedürftigen ankommen. Dies ist uns gelungen und wird weiter umgesetzt.

Die Welt ist seit dem völkerrechtswidrigen Angriff der Ukraine durch Russland ein völlig andere, als die, die wir in den letzten Jahrzehnten seit dem 2. Weltkrieg kannten.

Unser Mitleid gilt aber auch den getöteten russischen Soldaten, die diesem verbrecherischen Krieg nicht ausweichen konnten und oft sogar durch eine falsche Wahrheit in die Pflicht genommen wurden.

Mit diesem Volkstrauertag gedenken wir allen Toten.

Neben allen Leid, müssen wir auch das Gute sehen und hoffen, dass die negativen Erfahrungen bald überwunden werden. Deshalb ist unser Gedanke, dass kein Krieg mehr zwischen Europäern möglich ist, weil unsere Gemeinsamkeiten stärker als unsere Unterschiede sind, und weil sich im Zuge der Geschichte eine Besonderheit, eine Identität, eine Kultur, ein Gefühl der europäischen Zusammengehörigkeit entfaltet hat. Dieser europäische Gedanke steckt trotz dieser schlimmen Erfahrung mit dem Angriff auf die Ukraine in uns! Er bestimmt weiterhin den Alltag unserer Institutionen und Unternehmen, er bestimmt die Zukunftsperspektiven unserer Jugend und der europäischen Völker. Die Europäische Union und die europäischen Länder sind durch den Angriff enger zusammengerückt und arbeiten bei der Abwehr des Angriffs mit der Ukraine eng zusammen.

Wir sind es all denjenigen schuldig, die in den letzten siebzig Jahren daran gearbeitet haben, dieses Europa aufzubauen.

Europa muss noch stärker werden und mehr Souveränität erlangen. Denn Europa kann seiner Rolle nicht gerecht werden, wenn es selbst zum Spielball der Mächte wird, wenn es nicht mehr Verantwortung für seine Verteidigung und für seine Sicherheit übernimmt und sich auf der Weltbühne mit einer untergeordneten Rolle zufriedengibt. EUROPA muss unabhängig von USA, Russland und China werden und dieser Herausforderung müssen wir uns stellen.

Nur ein geeintes, starkes, souveränes und unabhängiges Europa kann uns dauerhaften Frieden sichern und dazu beitragen, die Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen in anderen Staaten zu lösen.

Sicherlich ist es nicht bequem, sich diesen Aufgaben und Herausforderungen zu stellen. Aber der größte Fehler wäre es, wenn wir es als selbstverständlich hinnehmen und nicht mehr erkennen, dass wir Frieden und Friedenssicherung jeden Tag neu erarbeiten müssen.

Darum lassen Sie uns diesen Volkstrauertag nutzen:

In erster Linie zum Gedenken an die unzähligen Gefallenen zweier Weltkriege. Zum Gedenken an die unzähligen Menschen, die durch Krieg aus ihren Familien gerissen wurden und bis heute Lücken hinterlassen haben. Zum Gedenken an die unzähligen zivilen Kriegsopfer. Zum Gedenken an die unzähligen Ermordeten, die aufgrund verstiegener Ideologien sinnlos ihr Leben lassen mussten. Zum Gedenken an all die Opfer von Krieg, Hass, Vertreibung und Terror.

Und ganz besonders im Gedenken an die Toten und Opfer in der Ukraine.

Das Gedenken der Toten ist für uns Mahnung, aus der Vergangenheit Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen und danach zu handeln. Wann immer und wo immer wir heute helfen können, wenn wir einen Beitrag leisten können, Versöhnung zu schaffen, wenn wir helfen können, Menschen vor Gewalt und Terror zu schützen, dann müssen wir es tun. Wir müssen moralisch handeln. Wir dürfen nicht wegschauen, nur, weil dies bequemer für uns wäre.

Wir können unsere Vergangenheit nicht ändern, aber wir können sie verstehen, aus ihr lernen und dafür sorgen, dass sich Fehler nicht wiederholen.

Darum lassen Sie uns diesen Volkstrauertag auch dazu nutzen, ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen der Hoffnung und des gemeinsamen Handelns.

Es ist wichtig, dass wir uns an Tagen wie heute mit der Vergangenheit beschäftigen und gleichzeitig Schlüsse für die Gegenwart und Zukunft ziehen.

WIR sind es, die daran arbeiten müssen!

Das Gebet und die Ansprache von Pfarrer Ralph Gölzer:

Fürbitte
Guter, menschenfreundlicher Gott,
du liebst das Leben und hast die Schöpfung als Lebenshaus für alle geschaffen.
Du willst, dass wir das Leben haben und es in Fülle haben.

Dich bitten wir:

Angesichts der Trümmer von Krieg und Gewalt –
Lass uns nie die Hoffnung verlieren und schenke uns Kraft zu Wiederaufbau und Neuanfang.

Angesichts der zahllosen Kriegstoten –
Tröste die Trauernden in ihrem Schmerz und trockne die Tränen der Hinterbliebenen
In den Trümmern von Krieg und Gewalt –

Sei du bei allen, die sich um Gerechtigkeit und Frieden mühen und stärke die, die sich für ein Ende von Gewalt und Krieg einsetzten.

Auf den Schlachtfeldern dieser Welt –
Lass die Toten nicht endgültig tot sein, lass die Opfer nicht auf ewig Opfer sein.

Denn auf dich hoffen wir, auf dich bauen wir, dir vertrauen wir unsere Sehnsucht an.

Amen.

Pfarrer Ralph Gölzer, ein Kind der 60er, der den Krieg aus Erzählungen seiner (Groß-) Eltern und den Geschichtsbüchern kennt, hat dieses Gedicht vorgelesen.

Gedicht für den Frieden

@janinabodi: ein Gedicht über den krieg schreiben, wenn man nur frieden kennt

ich keine keinen Krieg
ich kenne nur
Geschichtsbuchkapitel
mit schaubildern und einem spannenden titel,
mit fakten und daten und zahlen und quoten:

Erster Weltkrieg, 1914-18, mit 17 Millionen und
zweiter Weltkrieg, 1939-45, mit 80 Millionen Toten

ich kenne keinen Krieg
ich kenne nur
literaturmeisterwerke
wohlklingende Worte von schönheit und stärke
von brecht und remarque, die sie uns hinterließen:

Wir waren 18 Jahre und begannen
die Welt und das Dasein zu lieben;
wir mußten darauf schießen.

ich kenne keinen Krieg
ich kenne nur
abendessenanekdoten
am tisch ist schwerwiegendes schweigen geboten
wenn opa uns wieder von damals erzählt:
Wir hatten Hunger und hatten kein Geld.
Wir stahlen gefrorene Kartoffeln vom Feld.

ich kenne keinen Krieg
ich kenne nur
nachrichtenbilder
explosionen in städten und weinende kinder,
daneben der sprecher, der sachlich erklärt:
Am 6. Tag der Invasion in der Ukraine haben
die russischen Truppen ihre Angriffe verstärkt.

ich kenne keinen Krieg
ich kenne nur
frieden
ich musste nie fliehen, bin immer geblieben.
ich hatte nie hunger, bin immer schon satt.
ich musste nie schießen, weil man’s mir befohlen hat.

ich kann seine schrecken nur benennen,
doch andere müssen den krieg druchleben.
ich wünschte, ich wär‘ nicht so machtlos dagegen.
ich wünschte, ein jeder würd‘ ihn wie ich
nur noch vom
hörensagen
kennen.

 

 

 

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